ottonova Interview mit Thomas Kanzler: Wo fängt Digitalisierung an?

Thomas Kanzler ist Digitalisierungsexperte, Start-up-Gründer und Miterfinder eines Wearables. Im Interview haben wir darüber gesprochen, wo Digitalisierung anfängt und wie Technologie für das Gute und alltägliche Verbesserungen eingesetzt werden kann.

So schnell wie möglich anfangen und keine Angst vor dem Scheitern haben.

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Der Digitalisierungsexperte und Startup Advisor sieht Scheitern als Chance. Sein Credo lautet „start small, fail fast“, sagt er im Gespräch mit ottonova. Dieses Mindset ist es, was wichtig ist, damit Innovationen entstehen können.

Im Interview versuchen wir das hochkomplexe und weite Feld der Digitalisierung an möglichst einfachen Beispielen zu beleuchten.

Wo fängt Digitalisierung eigentlich an?

Digitalisierung fängt schon bei ganz kleinen Dingen an, meint der Österreicher Thomas Kanzler. Zum Beispiel dabei, Papierkram endlich wegzukriegen.

Die Corona-Krise hat viele Herausforderungen und Hürden, die es in vielen Unternehmen noch immer bei der Digitalisierung gibt, noch sichtbarer gemacht. Die Liste ist lang: Es fängt schon bei vermutlich kleineren Dingen an wie etwa Mitarbeitern/innen ein starkes Home-Office-Umfeld zu schaffen mit der notwendigen Infrastruktur und Datensicherheit, passende digitale Kommunikationslösungen für Lehrer, Eltern und Schüler rasch zur Verfügung zu stellen und bis hin zu Lösungen für den Maschinenbauer, der aufgrund von Reisebeschränkungen seine Maschinen nicht mehr warten und reparieren kann, zu finden.

Er sieht Herausforderungen aber auch in der Kommunikation. Es sei wichtig zu erklären, wozu digitale Geschäftsmodelle und Digitalisierung genutzt werden können. „Es gibt da ganz unterschiedliche Mindsets in unterschiedlichen Ländern, was Digitalisierung und Gründergeist betrifft. „Wenn man in DE, A und CH was bewegen will, funktioniert das ganz anders als in anderen Ländern wie etwa den USA“, sagt Thomas, der beruflich international Unternehmen betreut.

Wir fragen ihn, was sich seiner Meinung nach in der Versicherungsbranche in Sachen Digitalisierung bewegen muss.

„In der Versicherungsbranche bewegt sich alles ganz langsam, aber es bewegt sich endlich etwas.“

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„Was sich grundsätzlich ändern muss?“, fragt er. „Prozesse müssen viel einfacher und schneller gestaltet werden.“ Der Fokus müsse auf Automatisierungsmöglichkeiten und Datensicherheit liegen.

Aber disruptive, digitale Modelle, zu denen er auch ottonova zählt, brauchen immer Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Gerade, wenn es um sensible Themen wie Versicherungen oder auch das Gesundheitswesen geht.

Es sei auch wichtig aus seiner Sicht, Versicherungen individuell an den Kunden anpassen. Dies geschehe schon teilweise in der KFZ-Versicherung mit digitalen nutzungsbasierten Versicherungen (UBI-Modellen = user based insurance).

Wir leiden unter Perfektionszwang

„Es gibt überall kluge Köpfe, die digitale Lösungen vorantreiben, aber 8 von 10 scheitern, weil sie sich zu sehr auf die perfekte Technik fokussieren“, meint der Digitalisierungsexperte.

Viele würden versuchen das perfekte Produkt zu entwickeln, aber das beansprucht sehr viel Zeit und in dieser Zeit habe sich der Markt bereits verändert, das Produkt wird nicht mehr gebraucht oder dem Start-up geht das Geld in der Entwicklungsphase aus.

Deshalb seine Empfehlung: So schnell wie möglich anfangen und keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Diese Erfahrung kann man gleich wieder in das nächste Projekt stecken, das dann vielleicht erfolgreich wird.

Attitude schlägt Erfahrung

Gemeinsam mit seinem Team aus Digitalisierungsexperten und Data Scientists betreut er bei A1 Digital Projekte von der Vernetzung von Maschinen & Assests wie etwa Güterwagons bis hin zu Gamechanger-Projekten wie zum Beispiel die „smarte Radschraube“, um Straßen sicherer zu machen. Aber auch Innovationen wie einem komplexen technischen Verfahren, das es möglich macht, aus altem Kaffeesatz neue essbare Pilze entstehen zu lassen, gehören zum Portfolio.

Aus seiner Erfahrung kann er feststellen, nicht nur große Konzerne helfen bei der digitalen Transformation, sondern gerade auch kleine Start-ups können viel bewegen, wenn sie sich nicht mit zu viel Perfektionismus im Weg stehen. Deshalb lautet auch sein zweites Credo: In der Digitalisierung schlägt Attitude Erfahrung.

Denn gerade im Bereich Artificial Intelligence ist nach drei Monaten vieles sowieso schon wieder überholt.

Thomas Kanzler

Versicherung von morgen: Ein individuelles Paket schnüren

Für eine digitalere Zukunft im Healthcare und Versicherungsbereich nennt er uns im Gespräch drei zentrale Punkte, die diese Branche voranbringen können:

  1. Förderung der Akzeptanz durch Aufklärung und Freiwilligkeit der Nutzung digitaler Angebote
  2. Vernetzung des Know-Hows der einzelnen Akteure gerade im Gesundheitsbereich → Nutzerseite/technologische Seite/fachliche-medizinische Seite
  3. Datenschutz, auch um Vertrauen in technologische Anwendungen aufzubauen

„Am Ende ist es wichtig, den Versicherten aufzuklären und einen Anreiz zu bieten, selbst in Aktion zu treten und die Angebote zu nutzen“, sagt er. Zum Beispiel über Wearables, unterschiedliche Apps zu Themen wie Schlaf, Stress oder Ernährung und das Bereitstellen von Content zum Thema Gesundheitsvorsorge, digitale Möglichkeiten und Versicherungsthemen.


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Auf Grundlage von Wearables und Apps ließe sich dann ein individuelles Paket für den einzelnen Versicherten schnüren und es könnten Empfehlungen und Vorhersagen für die Zukunft getroffen werden. Dies kann die Prämie für den Versicherungsnehmer günstiger machen und mache aber auch Abschätzungen für die Versicherungen möglich.

Grundvoraussetzung dafür sei allerdings, das betont Thomas Kanzler, dass die Leute mehr aufgeklärt werden müssten. Die Freiwilligkeit ist am wichtigsten, wenn es um digitale Angebote gehe.

„Es hilft nicht, ein digitales Angebot zur Verfügung zu stellen und den Menschen zu sagen, keine Angst, es ist alles sicher durch Blockchain… aber was ist Blockchain überhaupt? Technische Themen sind oft zu weit weg vom Alltag der Menschen“, meint Thomas.

Ein weiterer wichtiger Punkt wäre aus seiner Sicht zusätzlich zur Freiwilligkeit vor allem die Sicherheit der Nutzerdaten. „Es muss klar sein, wohin die Daten kommen, wer speichert, wer gibt sie weiter. Bei Geräten und Software im Health Care Bereich gibt es ja zu Recht besonders strenge Richtlinien für die Medizinprodukt-Zertifizierung“, sagt der Digitalexperte.

Technologie ist kein Selbstzweck

Dabei sollte man sich aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Technologie den Zweck haben muss, Dinge zu verbessern. Thomas Kanzler sagt er sei Kämpfer dafür, dass man Technologie für gute Dinge einsetzt. Als Technologiedienstleister habe man deshalb auch eine große gesellschaftliche Verantwortung. Man müsse vor allem immer die Nutzer von Anfang an miteinbeziehen.

Technologie kann auch sehr viel dazu beitragen die aktuelle Corona-Krise zu bekämpfen. Mit Abstandsmessungen, Temperaturmessungen oder und mit digitalen Lösungen dafür, die Anzahl der Menschen in einem Supermarkt zu erfassen und Voraussagen zum besten Einkaufszeitpunkt zu treffen. Digitale Lösungen können enormen Nutzen haben und das Leben deutlich einfacher machen, so der Digitalisierungsexperte.

Digitale Anwendungen als Vorsorgemöglichkeit

Gerade Wearables, smarte Textilien oder andere digitale Monitoringmöglichkeiten, die Daten wie etwa das Stresslevel, die Atemfrequenz, die Herzfrequenz, den Schlafrhythmus oder allgemeine Bewegungsdaten auslesen, können ein gutes Vorsorgeinstrument sein und mit genügend guten Daten auch belastbare Vorhersagen treffen.

„Man kann und muss für sich selbst vorsorgen“, sagt Thomas Kanzler. Dies solle aber freiwillig und spielerisch geschehen. Deshalb hält er auch eine direkte Bonifizierung in der Krankenversicherung für nicht zielführend. Als disruptiver Versicherer müsse man nur immer wieder Reminder für den Kunden setzen, wie er sich besser fühlen kann. Deshalb muss der Nutzer in den Entwicklungsprozess miteinbezogen werden. Das sind auch wir uns bei ottonova einig: Der Kunde muss im Fokus stehen.

Die Möglichkeiten von digitalen Anwendungen erstrecken sich von der präventiven Gesundheitsvorsorge und Fitness am Körper selbst über smarte Sitzgelegenheiten, die dir anzeigen, dass du falsch oder zu lange sitzt, bis hin zum medizinischen Bereich. Wearables werden teilweise auch schon in der Reha-Nachbetreuung oder der therapeutischen Begleitung von Autismus- oder Traumapatienten eingesetzt.


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Kinder und Jugendliche mit Autismus etwa oder auch Traumapatienten brauchen oft eine 24 Stunden Betreuung, was sie und ihre Betreuenden sehr einschränkt. Die Datenerhebung durch Wearables kann hier Abhilfe schaffen. Bestimmte Indikatoren der Wearables können eine Stressreaktion vorhersagen, bevor sie passiert, damit therapeutisch eingegriffen werden kann. So berichteten es Thomas Kanzler Betroffene und ihre Ärzte.

Die Daten könnten dann gesammelt werden und ein Arzt könnte eine Datenbank mit Empfehlungen anlegen. Etwa bestimmte beruhigende eigens für die Therapie entwickelte Games, um Stressreaktionen zu minimieren.

Ein schönes Beispiel für den Nutzen von Digitalisierung. Am Ende schließen wir das Gespräch damit, dass die Vernetzung der Akteure das A und O ist, damit Digitalisierung bestmöglich gelingen und für das Gute eingesetzt werden kann.

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Wer ist Thomas Kanzler?

Thomas Kanzler ist Start-up Advisor und leitet das Digital Services Team bei A1 Digital, das aus Experten für Digitalisierung, IoT, KI und maschinelles Lernen besteht. Außerdem ist er Mitbegründer und Erfinder der preisgekrönten Wearable Marke QUS Body Connected.

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Marie-Theres Rüttiger
HIER SCHREIBT Marie-Theres Rüttiger

Marie-Theres ist Online Redakteurin bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über E-Health, InsurTech und digitale Innovation, die das Leben besser machen. 

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