Meaning & More – Auf Sinnsuche mit Dr. Nina Bürklin

Dr. Nina Bürklin hat eine große Leidenschaft dafür, Ungewöhnliches zu verbinden. Sie verknüpft Wirtschaft mit Sinnorientierung, um gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben. Wir haben mit der Betriebswirtin & angehende Logotherapeutin über Nachhaltigkeit, Sinnsuche und Menschlichkeit gesprochen.

ottonova: Du sagst mentale Gesundheit hat auch mit der Frage nach dem Sinn zu tun. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, aber natürlich auch von guten Bedingungen für das Leben ist durch Corona für viele nochmal stärker in den Vordergrund gerutscht. Wie kann es denn gelingen, etwas Positives aus Transformation und Veränderungen zu ziehen?

Nina: Ich glaube, was uns allen mehr denn je im unternehmerischen Kontext, aber auch privat, seit Beginn der Corona-Pandemie bewusst geworden ist: dass Transformation und auch Veränderung Teil unserer Zeit sind. Transformation und Veränderung passieren immer und immer wieder. Ich glaube, es ist wichtig, Menschen ein Verständnis dafür zu geben, das erstmal anzunehmen und nicht grundsätzlich davor zurückzuschrecken.

In der Natur und in der Biologie sehen wir das und empfinden es als ganz normal. Unsere Zellen, unser Körper erneuert sich alle sieben Jahre. Die Natur hat ihre Kreisläufe. Aber wir Menschen haben so eine Sehnsucht danach, Sicherheit zu finden und uns gerne an Dingen festzuhalten, anstatt uns immer und immer wieder zu öffnen für Transformation, die ja auch gesund ist für eine Gesellschaft. Also jede Veränderung kann ja auch eine Chance bedeuten.

Vielleicht ein Punkt noch, der mir im Kontext von Zukunftsgestaltung wichtig ist. Wir sind die aktiven Gestalter in unserem Leben und nicht nur passive Beobachter. Das heißt wir können und müssen Verantwortung für das übernehmen, was wir machen. Ich denke es ist so wichtig, Leute an den Punkt zu bringen, sich zu fragen: „Wie möchte ich denn leben? Wie möchte ich denn arbeiten? Und was konkret kann ich heute tun, um meine Zukunft morgen aktiv mitzugestalten."

Das heißt nicht, dass wir omnipotent sind und immer alle Umstände ändern können. Das heißt aber schon, dass wir die Freiheit haben ein Verständnis dafür zu entwickeln, an welchen Punkten ich gestalten, handeln, und auch etwas kreieren kann.

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ottonova: Wenn Veränderung also auch eine Chance birgt – wie siehst du das in Bezug auf die Sinnfrage?

Nina: Um vielleicht das für euch wichtige Thema Digitalisierung aufzugreifen: es gibt ja immer noch Tendenzen in Deutschland, diesem Thema gegenüber nicht ganz so offen zu sein wie vielleicht im internationalen Vergleich. Ich denke, es ist wichtig, auch den Sinn und die Möglichkeiten durch die Digitalisierung aufzuzeigen. Jetzt, auch gerade in Zeiten der Pandemie, ist deutlich geworden, wie wir das auch positiv nutzen können.

Ich denke, das Thema Sinn wird dann greifbar, wenn wir wissen, wofür wir denn die Digitalisierung nutzen können, anstatt zu fragen warum wir uns jetzt neu drauf einstellen müssen. Das Aufzeigen der Gründe für etwas lässt Dinge greifbarer erscheinen.

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Um ein Beispiel zu nennen: Einige haben vielleicht während dieser Pandemie zum ersten Mal digitale Tools privat oder beruflich verwendet, die Videomeetings ermöglichen. Viele Arbeitsprozesse haben also trotz ‚physical distancing‘ weiterhin funktioniert, aber auch die Kommunikation mit Familie und Freunden hat gut geklappt. Indem man diese Werte aufzeigt, kann es viel besser gelingen, ein Thema wie Digitalisierung verständlich zu machen.

ottonova: Ein Verständnis dafür zu schaffen: Digitalisierung ist nicht der Zweck an sich, sondern Mittel zum Zweck?

Nina: Sozusagen!

ottonova: Wie kann denn Digitalisierung diese sinnzentrierte Perspektive gewährleisten?

Nina: An dieser Stelle ist es mir ganz wichtig, nochmal klar zu sagen, dass es nicht DEN einen Lebenssinn gibt. Das ist subjektiv. Das Leben birgt ganz viele Möglichkeiten, um Sinn zu verwirklichen. Also ich kann es unglaublich erfüllend und befriedigend finden, heute Abend im Park in der Natur zu sein und mich da sportlich auszutoben. Ich kann es auch sehr sinnerfüllend finden, einen tiefen Austausch mit Freunden zu haben. Es muss nicht das Hilfsprojekt in Afrika sein.

Um auf die Frage zurückzukommen: Ich denke es ist wichtig, dass wir technische Mittel nutzen um das, was uns Menschen gut tut im Leben, zu fördern und zu unterstützen.

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Wenn ich weiß, die Zeit draußen in den Bergen oder in der Natur tut mir gut, dann kann ja ein digitales Tool mir helfen, die besten Wege zu finden oder es kann mir aufzeigen, wann ich welche Zeitslots verfügbar habe. Oder es kann mir ganz banal das Wetter aufzeigen.

Wenn ich merke, es tut mir total gut, jeden Tag eine halbe Stunde zu meditieren, aber irgendwie denke ich im Alltagsstress nicht daran, dann kann mir eine App oder ein Online-Kurs die Möglichkeit bieten, immer wieder daran erinnert zu werden und auch diese Zeit mit mir oder für mich zu gestalten.

Also ich denke, sobald die individuellen Werte und Sinnmöglichkeiten für einen gefunden sind, kann Technologie einen wahnsinnig starken Beitrag leisten, uns im Alltag zu unterstützen.


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ottonova: Digitalisierung ist ja ein wunderbares Tool, uns dabei zu unterstützen, Dinge zu tun, die uns guttun. Warum ist die Akzeptanz von App Anwendungen, von Telemedizin in der Vergangenheit im Gegensatz zu anderen Ländern so gering? Warum ist das denn in Deutschland mit so viel Befürchtungen und Ängsten behaftet und was für Hindernisse sind es, die uns davon abhalten?

Nina: Zum einen ist es zutiefst menschlich, Veränderungen zu scheuen. Um ein Beispiel zu nennen; wenn ich bisher beispielsweise einen Anruf immer über das Festnetz gemacht habe und plötzlich kriege ich da die Einladung zum Zoom Call und kenne die Technologie noch nicht und muss mich anpassen, dann ist das erstmal Aufwand – dann muss ich erstmal Neues lernen.

Ich denke, da hilft es aufzuzeigen, was auch in der Vergangenheit schon gelungen ist, wie Leute sich da verändert haben. Nehmen wir das Thema Online Banking: Am Anfang wollte das niemand und jeder dachte, das kann gar nicht sicher sein und alle Daten werden geklaut und unsere Konten werden leergeräumt. Und mittlerweile ist es Gang und Gäbe.

Das zweite Thema schließt gleich daran an. Ich glaub, Digitalisierung ist auch ein kulturelles Thema. Wir Deutschen – wenn ich das jetzt mal pauschalisierend formulieren darf – sind sehr sicherheitsliebend, sind einfach keine besonders risikoaffine Kultur, sondern eine, die lieber das anwendet oder sich auf das bezieht, was er oder sie einfach schon kennt. Offenheit gegenüber Veränderung und Risikobereitschaft ist also auch eine kulturelle Frage. Ich glaube, gerade im Bereich Digitalisierung und Technologie allgemein braucht es bei uns länger – egal, ob ich jetzt nochmal an Online Banking denke oder an Kommunikationstools.

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ottonova: Das heißt ein Weg zur Erkenntnis könnte dann stärkere Beratung sein oder wie du vorhin gesagt hast: Begeisterungsfähigkeit?

Nina: Ja, ich denke, da sprichst du zwei ganz wichtige Dinge an. Das eine ist eher rational, kognitiv geprägt – also im Sinne einer Aufklärung. Gerade im Bereich Digitalisierung ist ja oft diese Angst, „alle meine Daten werden geklaut, sie werden missbraucht und ich habe Angst etwas rauszugeben“. Ich denke da ist es sehr hilfreich, Aufklärungsarbeit zu leisten und klar zu machen, es gibt bestimmte Qualitätskriterien und Sicherheitsstandards, um so den „Kopf“ zu befriedigen.

Was unter Umständen aber viel wirksamer und überzeugender sein kann, ist Inspiration. Also die Begeisterung etwa dafür, wie schnell und einfach Services plötzlich digital funktionieren. Wie viel Zeit ich für andere, wichtigere, Dinge spare, wie cool das sein kann, wie das auch wirklich Spaß macht. Positive Erfahrungsberichte von Leuten wie du und ich nach außen zu tragen, kann nochmal mehr helfen, als diese rein rationale Ebene zu befriedigen.


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ottonova: Ja absolut! Der Convenience Faktor ist bei ottonova natürlich auch nicht irrelevant. Das ist eigentlich eine schöne Überleitung zu einem anderen Thema, mit dem du dich beschäftigst und welches auch mit Sinnhaftigkeit zu tun hat: Nachhaltigkeit. Woran liegt es, dass Nachhaltigkeit trotz anerkannter Relevanz viele Firmen noch zu wenig Fokus darauflegen?

Nina: Ein Schlüssel liegt darin, wie und auf welchen Grundsätzen Unternehmen gegründet worden sind. Unternehmen – auch gerade junge Unternehmen – die Nachhaltigkeit per se in ihrem Unternehmensethos verankern, tun sich auch leicht, das von vornherein, in der Kommunikation, in der Produktentwicklung, in der Mitarbeiterführung mit zu integrieren.

Wohingegen Unternehmen, die mit einem ganz klaren Fokus etwa auf Profitmaximierung gegründet worden sind, selbst wenn sie die Einsicht haben, dass Nachhaltigkeit wichtig ist, erstmal viel Veränderung anstoßen müssen. Das erfordert aber Offenheit und Veränderungsbereitschafft und dauert dann etwas länger.

Meine persönliche Überzeugung ist es, dass Unternehmen, die Nachhaltigkeit vernachlässigen, in Zukunft nicht gut bestehen können.

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Weil mehr und mehr Konsumenten das einfach fordern und einen gesellschaftlichen Beitrag sehen wollen. Und Nachhaltigkeit auch wichtig für die Mitarbeiter ist.

ottonova: Welche verschiedenen Facetten kann denn diese Nachhaltigkeit haben?

Nina: 

  1. Ökonomische Nachhaltigkeit
    Nachhaltigkeit kann zunächst erstmal auch ökonomisch sein. Das meint, dass ich ein Unternehmen führe, was eine nachhaltige Unternehmensführung und Strategie verfolgt, die sich anpasst, um sich am Markt zu halten. Das heißt nicht, dass ich jedes Jahr höhere Gewinne oder Renditen erziele. Das heißt aber schon, stabil bleiben und auch mit Volatilitäten, die wir heute erfahren, umgehen zu können.
  2. Soziale Nachhaltigkeit
    Ein weiterer Aspekt ist Nachhaltigkeit im Sinne einer sozialen Form. Nachhaltigkeit gegenüber Mitarbeitern kann durchaus auch profitorientiert sein: denn wenn es mir gelingt, Mitarbeiter zu halten und Mitarbeiter zu fördern, habe ich natürlich eine geringere Fluktuation. Wenn ich mich um meine Angestellten kümmere, sind sie motivierter und produktiver, was ich ja schlussendlich unter anderem auch auf wirtschaftlichen Erfolg abzielt. Aber natürlich auch – und damit sind wir ein bisschen wieder bei dem Anfangsthema und dem Thema mentale Gesundheit –  die Mitarbeiter als Menschen stärkt und das Wohlbefinden stärkt.
    Gleiches gilt auch gegenüber meinem Wertschöpfungsnetzwerk, also wenn ich über Lieferanten spreche, wenn ich über meine Kunden spreche und dort auch soziale Standards verankere.
  3. Ökologische Nachhaltigkeit
    Und abschließend gilt das gleiche natürlich auch im ökologischen Bereich. Wenn ich als Unternehmen ständig Raubbau betreibe mit den Ressourcen, die eigentlich mein Geschäftsmodell füttern sollen, dann wird das nicht funktionieren. Und ein nachhaltiger und ein bewusster Umgang mit Ressourcen kann nochmal meine Position im Markt stabilisieren.
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ottonova: Das heißt Nachhaltigkeit kann dann auch wieder sinnstiftend sein. Denn was sich ja jetzt in den letzten Jahren immer weiter abzeichnet, ist, dass die Sinnfrage auch stark mit der Jobfrage verbunden ist. Wie kriegt man jetzt diese ganzen Bereiche zusammen, sodass das Wirtschaftssystem nicht zusammenbricht? Wie siehst du denn da eine Zukunft? Zeichnen sich Trends ab?

Nina: Wir sind aktuell durch viele externe Faktoren wie Klimaerwärmung, Pandemie usw. in einer absoluten Umbruchphase. Und Umbruch bedeutet immer Altes loszulassen und Neues einzuladen oder zuzulassen. Ich denke, die Themen wie Nachhaltigkeit und die Sinnfrage werden auf jeden Fall stärker werden, weil gerade in solchen Krisenzeiten – wie jetzt während der Corona Pandemie, aber genauso auch während der Finanzkrise 2008/9 – Menschen wirklich zurückgeworfen sind auf sich und auf das, was ihnen im Leben wichtig ist.

Zweitens glaube ich, dass das Thema Menschlichkeit – gerade im Kontext von Leadership und Unternehmensführung – immer wichtiger wird. Einerseits weil Arbeitnehmer das einfordern und sagen „Sorry, Jungs und Mädels, wenn ich ab jetzt nur 80 h Wochen rocken muss und körperlich darunter leide und kein Sozialleben hab, dann geht das nicht!“ und andererseits, weil es aber auch durch die Digitalisierung immer mehr Möglichkeiten gibt, auf Bedürfnisse von Arbeitnehmern einzugehen, auf neue Entwicklungen einzugehen und da sogar Wege zu gehen, die bisher noch nicht möglich waren.

Ich bin überzeugt, dass sich die Perspektive auf viele Dinge ändern wird. Wie wichtig schätze ich das Thema körperliche und mentale Gesundheit ein? Wie wichtig ist es anderen Menschen zu begegnen? Tiefe Beziehungen zu haben?


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ottonova: Ist das Thema Menschlichkeit vielleicht eine Klammer, die vieles angesprochene wie Nachhaltigkeit, Sinnsuche und New Work verbindet?

Nina: Es kann eine Klammer sein. Ich glaube, es wird noch viel Aufklärungsarbeit, Austausch und ehrliche Begegnungen geben müssen, bis das Thema noch mehr greift.

Das Thema Menschlichkeit wird immer wichtiger, weil Leute auch erkennen, dass wir nicht nur Rollen einnehmen, sondern dass der Mensch immer als Ganzes mit seinen Stärken, Schwächen, Vorlieben und Abneigungen da ist. Gerade auch im wirtschaftlichen Kontext kann das total befruchtend und innovationsfördernd sein.

Ich denke, diese Öffnung hin zu Menschlichkeit – im Sinne von nicht abgetrennten Rollen, sondern Menschen als Ganzes sehen – kann durchaus eine Klammer sein, um mehr Nachhaltigkeit und Sinn zu fördern und diese auch im Berufsalltag implementieren zu können.

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Wer ist Dr. Nina Bürklin?

Dr. Nina Bürklin hat Studienabschlüsse in Modedesign und BWL und promovierte im Bereich Marketing mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, um sich für einen positiven gesellschaftlichen Wandel einzusetzen. Ihr Anliegen war es, verschiedene Marketingstrategien und Tools nicht nur für Gewinnmaximierung, sondern zur Förderung von Konsumverantwortung einzusetzen.

Parallel begann sie eine dreijährige Ausbildung im Bereich Logotherapie & Existenzanalyse, auch sinnzentrierte Psychotherapie genannt. Im Kern geht es darum, Menschen darin zu unterstützen, Sinn in ihrem Leben zu entdecken und darüber ihren Alltag aktiv zu gestalten und das eigene Wohlbefinden zu steigern.

Mit den Themen Nachhaltigkeit, Sinnorientierung sowie Menschlichkeit und Innovation möchte sie einen positiven Beitrag für Einzelpersonen und Organisationen leisten, um mentale Gesundheit und die Verwirklichung von Potentialen zu fördern.

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Marie-Theres Rüttiger
HIER SCHREIBT Marie-Theres Rüttiger

Marie-Theres ist Online Redakteurin bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über E-Health, InsurTech und digitale Innovation, die das Leben besser machen. 

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