Eure Studien zeigen einen klaren Zusammenhang: Wenn es mir mental schlecht geht, fehlt mir die Energie und die Produktivität sinkt. Könnt ihr uns an einem einfachen Beispiel aus dem Arbeitsalltag erklären, wie man diesen Kreislauf ganz konkret durchbrechen kann?
Gerne, ein typisches Szenario ist zum Beispiel folgendes: Eine Mitarbeiterin hetzt von einem Meeting ins nächste, ihr Kalender ist überfüllt, der Kopf nie wirklich frei. Abends ist sie erschöpft, schläft aber schlecht – und startet am nächsten Morgen mit dem gleichen Druckgefühl. Das ist ein klassischer Stresskreislauf.
Ein erster, oft unterschätzter Hebel ist: regelmäßige, bewusste Pausen – idealerweise kombiniert mit kurzen Atemübungen wie z.B. der 4-7-8-Methode oder Boxatmung. Diese aktivieren das parasympathische Nervensystem, senken die innere Anspannung und schaffen mentale Erholung. Das Ergebnis: mehr Fokus, weniger Reizbarkeit, höhere Leistungsfähigkeit.
Genauso wichtig ist der niedrigschwellige Zugang zu psychologischer Unterstützung. Einzelgespräche mit Psycholog:innen helfen, individuelle Stressmuster frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern – bevor Überlastung chronisch wird. Wer versteht, was ihn oder sie belastet und wie er damit umgehen kann, stärkt langfristig seine Resilienz.
Man sollte dabei auch immer beachten, dass Stress nicht nur ein individuelles Thema ist. Auch Strukturen und Rahmenbedingungen spielen eine zentrale Rolle. Mitarbeitende brauchen realistische Arbeitsanforderungen, klare Prioritäten und die Möglichkeit, eigene Kompetenzen kontinuierlich auszubauen. Weiterbildungen, gute Kommunikation und psychologische Sicherheit sind entscheidende Faktoren, um den Kreislauf aus Stress und Erschöpfung gar nicht erst entstehen zu lassen.
Ihr habt festgestellt, dass viele Menschen mit moderaten Problemen leiden, ohne sich Hilfe zu suchen. Welchen praktischen Rat habt ihr für Mitarbeitende, die spüren, dass ihr Stress zunimmt, aber denken: „Das ist doch noch nicht schlimm genug für professionelle Hilfe”?
Diese Zurückhaltung ist weit verbreitet – und völlig menschlich. Viele unterschätzen ihre eigenen Belastungen oder glauben, erst „richtig krank“ sein zu müssen, um Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Dabei gilt genau das Gegenteil: Je früher man sich mit seinem mentalen Zustand auseinandersetzt, desto einfacher lässt sich gegensteuern.
Ein hilfreicher erster Schritt kann sein, sich einen Überblick über persönliche Energiequellen und Stressoren zu verschaffen: „Was gibt mir Kraft? Was zieht mir Energie?“ So bekommt man schnell ein klareres Bild davon, was gerade im Ungleichgewicht ist und wo man ansetzen kann.
Auch kurze, regelmäßige Selbst-Checks sind wirkungsvoll: Eine einfache Skala von 1 bis 10 – „Wie voll ist meine innere Batterie heute?“ – kann helfen, Veränderungen im eigenen Wohlbefinden frühzeitig wahrzunehmen. Das fällt vielen leichter als die eigene Stimmung in Worte zu fassen.
Ein weiterer wirksamer Impuls ist der Perspektivwechsel: Was würde ich jemandem raten, der in meiner Situation ist? Zum Beispiel einem Freund oder einer Freundin. Diese Frage schafft emotionale Distanz – und erstaunlich oft auch Klarheit.
Es braucht keine Krise, um sich Unterstützung zu holen. Professionelle Hilfe – etwa in Form von präventiven Gesprächen mit Psycholog:innen – ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge und dafür, dass man Verantwortung für die eigene Gesundheit übernimmt. Viele Plattformen, auch nilo, bieten niedrigschwellige Formate an, die genau dafür gedacht sind: erste Signale ernst zu nehmen, bevor sie zur Belastung werden.
Wie finde ich heraus, welche Methoden in Bezug auf Entspannung für mich persönlich am besten funktionieren?
Das Wichtigste ist: neugierig bleiben und ausprobieren. Entspannung ist nichts, das man „richtig“ oder „falsch“ macht – und sie sieht für jeden Menschen anders aus. Während der eine durch Meditation zur Ruhe kommt, braucht die andere Bewegung, Natur oder einen Stift in der Hand zum Journaling.
Ein spannender Ansatz ist das Modell der „7 Types of Rest“. Er zeigt, dass wir ganz unterschiedliche Formen von Erholung brauchen – je nachdem, was gerade fehlt. Das kann zum Beispiel sein:
- Physische Ruhe (z. B. Schlaf, Dehnen, sanfte Bewegung),
- Mentale Ruhe (Pausen vom ständigen Denken und Grübeln),
- Sensorische Ruhe (weniger Bildschirmzeit, Lärm oder visuelle Reize),
- Emotionale Ruhe (Gefühle zeigen dürfen, nicht dauernd funktionieren müssen),
- Soziale Ruhe (Abstand von belastenden Kontakten, Nähe zu Menschen, die Kraft geben),
- Kreative Ruhe (Inspiration tanken, Natur oder Kunst auf sich wirken lassen),
Spirituelle Ruhe (Verbindung zu Sinn, Werten oder etwas Größerem).
Sich regelmäßig zu fragen: „Welche Art von Erholung brauche ich eigentlich gerade?“ bringt oft mehr als die Suche nach der einen Methode. Wichtig ist, sich diesen Raum bewusst zu nehmen – und Entspannung nicht als Luxus, sondern als Ressource zu verstehen.
Welche spezifischen Inhalte oder Interventionsformen empfehlt ihr, um Resilienz proaktiv zu stärken, und wie messt ihr den Erfolg?
Resilienz lässt sich gezielt aufbauen, wenn man auf zwei Ebenen ansetzt: individuell und organisatorisch. In nilos Roundtable zum Thema Resilienz zum Beispiel konzentrieren wir uns vor allem auf drei zentrale Methoden:
- Ressourcen aktivieren und stärken – also bewusst das in den Fokus rücken, was Kraft gibt: persönliche Stärken, Erfolgserlebnisse, Routinen.
- Eine lösungsorientierte Haltung einnehmen – nicht im Problem kreisen, sondern fragen: Was ist mein nächster kleiner Schritt?
- Das soziale Netzwerk stärken – Beziehungen pflegen, die Kraft geben.
Auf individueller Ebene geht es vor allem um drei Prinzipien:
- Selbstwahrnehmung – also das Bewusstsein für eigene Bedürfnisse, Belastungen und Warnsignale.
- Selbstverantwortung – den Fokus auf den eigenen Einflussbereich legen, statt sich im Außen zu verlieren.
- Selbstentwicklung – aktiv Methoden der Stressbewältigung und mentalen Stärke erlernen und anwenden.
Gleichzeitig muss Resilienz auch strukturell verankert sein. Organisationale Resilienz braucht psychologische Sicherheit, klare Kommunikation, transparente Entscheidungen – und eine Kultur, die Offenheit, Optimismus und Fehlerfreundlichkeit fördert. Erst wenn beide Ebenen zusammenspielen, entsteht langfristige Stabilität.
Zur Erfolgsmessung setzen wir auf konkrete, praxisnahe Kennzahlen – sowohl für individuelle als auch für organisationale Resilienz:
Individuelle Resilienz erfassen wir z.B. durch Selbstwirksamkeitsscores aus Mitarbeiterbefragungen oder Stresslevel-Skalen (z. B. 1–10 Einschätzung via Pulse-Check). Organisationale Resilienz spiegelt sich u. a. In Krankenstand und Fehlzeiten, Fluktuationsraten bzw. Mitarbeiterbindung.
Wie wirkt sich diese individuelle mentale Stabilität direkt auf die Kollegen und Kolleginnen und die gesamte Teamatmosphäre aus?
Ganz klar, das gesamte Team profitiert – selbst wenn zunächst nur einzelne Mitarbeitende aktiv an ihrer mentalen Gesundheit arbeiten. Denn mentale Stabilität wirkt sich auch unmittelbar auf die Zusammenarbeit aus.
Resiliente Mitarbeitende sind in der Regel klarer in der Kommunikation, verlässlicher in der Zusammenarbeit und produktiver im Alltag. Sie agieren lösungsorientierter, bringen mehr Ruhe ins Team und können auch in stressigen Situationen den Überblick behalten. Diese Haltung ist oft ansteckend – im positiven Sinn.
Gleichzeitig reduziert sich die Belastung für das Team als Ganzes: Wenn weniger Menschen krankheitsbedingt ausfallen oder in stillem Rückzug verharren, muss auch weniger kompensiert werden. Das schafft Entlastung und sorgt für mehr Stabilität im Tagesgeschäft.
Und noch ein wichtiger Aspekt: Kolleg:innen, die offen mit mentaler Gesundheit umgehen, tragen aktiv dazu bei, das Thema zu entstigmatisieren. So entsteht ein Umfeld, in dem es normal ist, sich Unterstützung zu holen oder z.B. Überforderung zu kommunizieren.
Umgekehrt gilt aber auch: Stress und Überlastung sind ansteckend. Geht es einem Teammitglied dauerhaft schlecht, leidet oft das ganze Team mit – durch Konflikte, Missverständnisse oder stillen Rückzug. Umso wichtiger ist es, mentale Gesundheit nicht nur als Privatsache zu sehen, sondern als kollektive Verantwortung und Schlüssel zur Zusammenarbeit.
Wenn ein Unternehmen in mentale Gesundheit investiert, kostet das Geld. Wie lässt sich in einfachen Worten erklären, dass diese Investition in die mentale Gesundheit die Kosten für das Unternehmen langfristig wieder einspart?
Auf lange Sicht ist es deutlich teurer, nicht zu investieren.
Wenn Mitarbeitende mental belastet sind, sinkt die Produktivität, Krankheitstage nehmen zu und die Fluktuation steigt – alles Faktoren, die nachweislich hohe Kosten verursachen. Laut dem AOK Fehlzeitenreport haben psychische Erkrankungen in den letzten zehn Jahren um 47 % mehr Arbeitsunfähigkeitstage verursacht. Dahinter stehen nicht nur Ausfallkosten, sondern auch Belastungen für Teams, Projektverzögerungen und Know-how-Verlust.
Frühzeitige Investitionen in mentale Gesundheit – etwa durch präventive Angebote, psychologische Beratung oder Plattformen wie nilo – wirken genau diesen Entwicklungen entgegen. Sie reduzieren Ausfälle, stärken die Zufriedenheit und erhöhen die Bindung ans Unternehmen. Der Return on Investment ist dabei messbar: Laut Deloitte liegt der ROI bei bis zu 1:5 – für jeden investierten Euro können Unternehmen langfristig fünf Euro einsparen.
Investitionen in mentale Gesundheit zahlen positiv auf zentrale Erfolgsfaktoren ein: produktivere Teams, niedrigere Fluktuation, höhere Zufriedenheit und bessere Zusammenarbeit.
Eure Studien belegen eine kurzfristige bis mittelfristige Verbesserung. Wie verfolgt ihr die Langzeitwirkung – oder wie oft ist eine „Auffrischung” der Sessions notwendig, um die Resilienz zu erhalten?
Die Wirkung psychologischer Unterstützung ist sehr individuell – sie hängt von Faktoren wie aktueller Belastung, Unterstützung im Alltag und persönlicher Veränderungsbereitschaft ab. Deshalb gibt es bei uns keinen starren „Auffrischungszyklus“, sondern ein datenbasiertes und individuelles Vorgehen.
Wir messen Veränderungen kontinuierlich – unter anderem mit psychologischen Kennzahlen wie dem PHQ-4, dem WHO-5 Wellbeing Index oder individuellen Wellbeing Scores. Ergänzend fließen auch Indikatoren z.B. zur Motivation und organisationsrelevante Metriken ein, wie etwa Kündigungsabsichten. Auf Basis dieser Daten erkennen wir frühzeitig, wo es eventuell Änderungen des Angebots braucht und kommunizieren das an die Unternehmen – so können sie die Unterstützung gezielt anpassen.
Gleichzeitig bleibt der Zugang zu Gruppenformaten, Übungen und weiteren Ressourcen unbegrenzt.Das Kontingent der 1:1-Sitzungen mit unseren Psycholog:innen wird jährlich erneuert.
Viele kennen ein mentales Tief im Herbst und Winter. Habt ihr spezielle Kampagnen, Inhalte oder präventive Maßnahmen entwickelt, um saisonalen Belastungen gezielt entgegenzuwirken?
Tatsächlich beobachten wir im Herbst und Winter regelmäßig leichte Rückgänge bei den WHO-5-Werten – was wenig überrascht: Weniger Tageslicht, mehr Belastung im Jahresendspurt und oft weniger soziale Events als im Sommer wirken sich spürbar auf das psychische Wohlbefinden aus.
Unser Ansatz: Prävention statt Krisenreaktion. Wenn mentale Ressourcen das ganze Jahr über gestärkt werden, können saisonale Tiefs besser abgefedert werden. Resiliente Teams gleichen diese Schwankungen stabiler aus.
Gleichzeitig setzen wir auch auf saisonale Kommunikation und Impulse. Wir unterstützen Unternehmen mit passenden Kampagnen – etwa zu Themen wie Schlaf, Licht, Winterblues, Selbstregulation und Selbstfürsorge. Ergänzend bieten wir Roundtables mit saisonalem Fokus, z. B. zu Winterdepression vs. Wintertief oder mentale Stärke im Endjahresstress. Diese Inhalte werden regelmäßig über unsere Plattform, Kommunikationskanäle unserer Kunden und von nilo ausgespielt.
Wichtig ist uns dabei: Wir passen unsere Inhalte individuell an die Situation im jeweiligen Unternehmen an. Jede Organisation hat eigene saisonale Peaks – sei es im Vertrieb, in der Produktion oder im HR. Zentral für unsere Arbeit ist deshalb immer die Frage: Was braucht genau dieses Unternehmen und Team in dieser Phase?
Welche spezifische Lücke in der aktuellen Forschung und Umsetzung zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz seht ihr aktuell?
Eine zentrale Lücke liegt immer noch im Transfer zwischen Forschung und Praxis. Wir wissen aus vielen Studien, dass mentale Gesundheit einen Einfluss auf Produktivität, Fehlzeiten und Bindung hat – aber noch zu wenig darüber, was konkret für welche Zielgruppe wirkt. Die Wirksamkeit von Maßnahmen variiert stark – je nach Branche, Unternehmensgröße, Arbeitsmodell oder Teamkultur. Hier braucht es sicherlich noch differenziertere Ansätze und mehr kontextbezogene Forschung.
Auch zur Langzeitwirkung mentaler Gesundheitsmaßnahmen im Unternehmenskontext gibt es bislang zu wenige belastbare Studien. Viele Evaluierungen enden nach wenigen Wochen oder Monaten – doch wie stabil sind die Effekte, und was braucht es für nachhaltige Veränderung?