Psychotherapie & KI: Interview mit Eva Gjoni von senseven

Ki in der Psychotherapie klingt nach Science-Fiction? Nein! Wir haben mit Psychologin Eva Gjoni darüber gesprochen, wie neue Therapiekonzepte mit Hilfe von Daten die psychotherapeutische Versorgung verbessern können.

Inhalt des Ratgebers

ottonova: Eva, als wir das letzte Mal gesprochen haben, war die Corona-Pandemie noch in vollem Gange und ihr hattet gerade eine Plattform für Videopsychotherapie ins Leben gerufen: „bleib psychisch gesund“ und das Projekt mAIdncraft gestartet, das KI mit Psychotherapie verband. Seitdem ist viel passiert. Erzählst du uns wie es weiter ging?

Eva: Gerne. Nachdem wir „bleib psychisch gesund“ ins Leben gerufen hatten, eine kostenlose Hotline mit Live Beratungssitzungen per Videotelefonat, weil wir den Bedarf an schneller psychischer Hilfe gesehen haben, haben wir mAIndcraft gestartet, womit wir remote Psychotherapie und KI verbinden wollten. Daraus ist mittlerweile senseven entstanden. Eine Plattform, die Patienten und Patientinnen mit passenden Therapuetinnen und Therapeuten mit Hilfe von KI matcht. Zusätzlich haben wir auch eine App entwickelt, die die Therapie begleitet, um damit den Therapieerfolg zu erhöhen. 

Vor der Pandemie galt in der Psychotherapie noch die Regelung, dass nur 20 Prozent der Therapiestunden online stattfinden durften, die Aufhebung dieser Einschränkung wurde seit Pandemiebeginn schrittweise verlängert. Das ist auch einer der positiven Aspekte der Pandemie – die schnelle Veränderung.

Noch immer sind die psychischen Folgen der Pandemie zu spüren und viele Menschen sind auf der Suche nach psychischer Hilfestellung, aber die Suche nach einem passenden Therapeuten oder Therapeutin gestaltet sich nicht immer einfach. Hier setzen wir an, zum einen die Suche zu erleichtern und zum einen die Therapie a- auch mit Hilfe von KI - effektiver zu gestalten.

Wir sind die Ersten, die KI-basiert Stimmanalyse in den therapeutischen Prozess integriert haben.

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Online Psychotherapie:

Wie funktioniert die Unterstützung via Video?


ottonova: Könntest du uns erklären, wie genau ihr bei senseven KI einsetzt und was das Besondere an eurem Ansatz ist? 

Eva:

Wenn Menschen Hilfe benötigen, wissen sie oft nicht genau, welche Art von Unterstützung für sie die richtige ist. Genau hier setzt unsere KI an: Sie stellt gezielte Fragen und analysiert die Antworten per Stimmanalyse, um anhand bestimmter Biomarker wie Tonalität, Geschwindigkeit, Wortwahl und Artikulation eine erste Einschätzung der Situation zu erhalten. Dadurch entsteht eine zuverlässige Empfehlung, ob und welche therapeutische Unterstützung sinnvoll wäre.

Ein zentraler Aspekt ist das Matching: Unsere KI hilft dabei, die passende Therapie und Therapeuten oder Therapeutin für individuelle Bedürfnisse zu finden. Denn der erste Schritt zur erfolgreichen Behandlung ist, zu wissen, wohin man sich wenden kann. Es geht also um die Optimierung des Zugangs zur passenden Therapie.

Nach der Vermittlung begleitet eine App den Therapieprozess. Sie fungiert nicht nur als Unterstützung für Patienten und Patientinnen, sondern auch als Co-Pilot für Therapeuten und Therapeutinnen. Dazu haben wir ein KI-Modell entwickelt und in die App integriert.

Die App bietet eine Tagebuch-Funktion. Patienten und Patientinnen können ihren Zustand dokumentieren – auch über Sprachnachrichten, anstatt Texte schreiben zu müssen. Diese können dann erneut KI-basiert analysiert werden, um daraus Rückschlüsse für den Therapieprozess zu ziehen und sogar Vorhersagen über Symptomentwicklungen treffen zu können. Außerdem können Therapeuten und Therapeutinnen gezielt Übungen und Fragebögen bereitstellen, um den Therapieprozess zwischen den Sitzungen zu unterstützen.

Zum einen geht es also um die Optimierung des schnellen Zugangs zur passenden Therapie. Zum anderen geht es um die Verbesserung der Effektivität durch die Personalisierung der Therapie. Basierend auf intelligenter Analyse von Datenerhebungen über Zeit werden passgenaue und personalisierte Lösung für die Patienten und Patientinnen zugeschnitten. Auf Grundlage von Daten geht es außerdem darum, personalisierte Handlungsempfehlungen aussprechen, die über die Therapiesitzung hinaus gehen, um den Patienten und Patientinnen bestmöglich in seinem Alltag begleiten zu können.

ottonova: Das heißt die Idee kam aus dem Umstand heraus, dass die Ressource Therapeut effektiver eingesetzt werden muss, weil es mehr Bedarf an Psychotherapie gibt und dass es oft ein Missmatch gibt von Bedarf und Therapie?

Eva:

Ganz genau! Ich bin Psychotherapeutin und glaube die Erfahrung vieler Psychotherapeuten und -Therapeutinnen zu teilen, dass es sehr belastend ist, Menschen, die um therapeutische Hilfe bitten, abzusagen oder aus Zeitmangel Wartelisten nicht mehr bearbeiten zu können. Ich habe den Beruf gewählt, um zu helfen und nicht Absagen zu verteilen. Die negative Auswirkung der Versorgungsdefizite auf den eigenen Berufsalltag trifft sozusagen die Selbstidentität der Psychotherapeuten.

Während meiner Arbeit in verschiedenen Stationen der Gesundheitsversorgung war ich stets mit dem Missmatch zwischen meiner Ressourcen und dem Patientenbedarf konfrontiert. Eine der schwierigsten Fragen war: Wo finde ich jetzt das beste Angebot für den Patienten?

Die Patientenjourney ist manchmal wirklich schwierig: Erstmal kann die Person gar keinen Therapieplatz oder Therapieangebot finden und dann, wenn er einen gefunden hat, ist es vielleicht nicht wirklich passend. Da geht so viel Zeit verloren. Und – selbst bei einem Matching erlebt die Person die passende Unterstützung in einer 50-minutigen Sitzung einmal in der Woche. Und was passiert dazwischen? Es ist für manche Patienten sehr schwer, die Therapieziele zwischen den Sitzungen zu verfolgen.

Sollte es aber der Person dann schlechter gehen und wir aber als Alternative dazu, beispielsweise nur wieder eine stationäre Behandlung anbieten, dann haben wir ihm zwar in dieser Phase gut geholfen aber nicht wirklich viel getan, um sie langfristig in ihrer Selbständigkeit zu verhelfen.

ottonova: Die schnelle Verarbeitung von Daten ist also das zentrale Instrument in dieser Therapieform?

Eva:

Ja. Psychotherapie sollte nicht nur effizienter, sondern auch wirksamer werden. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Selbstwirksamkeit: Menschen sollen lernen, sich selbst zu helfen und Werkzeuge an die Hand bekommen, um ihre psychische Gesundheit langfristig zu stabilisieren. Unsere App kombiniert den schnellen Zugang zu Therapieangeboten mit einer digitalen Begleitung, die die Therapieeffekte verstärkt.

Voraussetzung dafür sind hochqualitative repräsentative Daten und die evidenzbasierte Validierung der daraus identifizierten Indikatoren.

Die Patientendaten sind ein sehr wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses und können von der KI analysiert und eingeordnet werden. So rückt der Patient oder die Patientin mit seiner Geschichte und seinen Erlebnissen neben der evidenzbasierten Indikatoren selbst ins Zentrum der Therapieentscheidungen und kann wie auch der Therapeut oder die Therapeutin Einsicht erhalten. Und das KI-Modell wird mit diesen Daten trainiert und kontinuierlich aktualisiert. 

Mit einer digitalen Assistenz ist es viel leichter, im Alltag aktiv zu bleiben, die Herausforderungen zu bewältigen und die Therapieziele zu verfolgen.

ottonova: Dabei werden sehr sensible und zutiefst persönliche Daten erfasst. Wie gewährleistet ihr, dass die Daten nicht missbraucht werden können?

Eva:

Wir legen großen Wert auf Datenschutz, das ist ein grundsätzlicher ethischer Aspekt beim Einsatz von KI in der Therapie. Die Datenverarbeitung erfolgt ausschließlich auf dem Endgerät, sodass sensible Informationen nicht das Gerät verlassen. 

Um den bestmöglichen Datenschutz gewährleisten zu können, arbeiten wir mit zwei Universitäten zusammen und werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Das Potential, Daten und und KI in der Therapie einzusetzen, ist ein sozusagen ein großes disruptives Versprechen für die Zukunft, eine patientenzentrierte Versorgung zu ermöglichen.

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ottonova: Jetzt mal ganz weit in die Zukunft gedacht: Glaubst du, dass KI-gestützte Therapie in Zukunft die traditionelle Therapie vollständig ersetzen kann oder wird?  

Eva:

Nein. Die persönliche Therapie kann und wird niemals von KI abgelöst werden. 

Therapie basiert auf menschlichen Beziehungen, Empathie und Feingefühl – Fähigkeiten, die eine KI nicht besitzt. Therapeuten und Therapeutinnen wägen genau ab, wann sie Patienten und Patientinnen konfrontieren. Psychische Prozesse benötigen Zeit, um Einsichten zu gewinnen, und eine zu frühe oder zu späte Konfrontation kann problematisch sein.

Während KI dabei helfen kann, Therapieprozesse effizienter und zugänglicher zu gestalten, bleibt die therapeutische Beziehung unersetzlich. Die Entwicklung von KI in diesem Bereich muss daher reguliert und ethisch durchdacht sein – ein Ansatz, den der EU AI Act ebenfalls verfolgt.

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Wer ist Eva Gjoni?

Als Psychologin mit Masterabschluss in Kognitiven Neurowissenschaften und Dozentin leitet Eva Gjoni das therapeutische Team von senseven. Nach mehrjähriger akademischer und klinischer Berufserfahrung im Gesundheitswesen und in ihrer eigenen psychotherapeutischen Praxis setzt sie sich mit senseven für effektivere und leichter verfügbare Psychotherapie durch den Einsatz von moderner Technologie ein.

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Marie-Theres Rüttiger
HIER SCHREIBT Marie-Theres Rüttiger

Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen.

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