Psychotherapie via Video – Digitale Unterstützung für die Psyche
Die aktuelle Situation der Ausgangsbeschränkungen bringt viele an ihre psychischen Grenzen. Isolation und Existenzängste führen zu belastenden Situationen Wo finden Menschen jetzt psychische Unterstützung? Wie Corona die psychologische Beratung verändert. ottonova hat mit Betroffenen gesprochen.
Die Corona-Beschränkungen und Social Distancing stellen uns alle vor große Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen – beruflich wie privat. Dauernde Anspannung und vielleicht Existenzängste kommen auf. Die Isolation in den eigenen vier Wänden bringt auch psychisch gesunde Menschen an unbekannte Grenzen. Wie ist es da erst für psychisch Erkrankte mit der zusätzlichen Herausforderung umzugehen? Was machen Erkrankte, die eine konstante Therapie brauchen?
Welche Hilfen und Therapie-Formate für die Psyche es gibt und wie sich die psychologische Beratung verändert.
Videosprechstunde jetzt unbegrenzt möglich
Patienten wurde während der Ausgangsbeschränkungen wegen der Covid-19-Pandemie dringend empfohlen, eine Praxis nur in medizinisch sehr dringenden Fällen aufzusuchen.
Die tariflichen Bestimmungen der meisten PKV-Verträge haben keinerlei Einschränkungen bei der Behandlung von Patienten via Videotherapie. In der PKV sind Videosprechstunden seit der Lockerung des Fernbehandlungsverbotes im Jahr 2018 nach Maßgabe der medizinischen Notwendigkeit ohne Beschränkungen möglich, wenn der Erstkontakt persönlich erfolgte. Damals war ottonova mit dem Angebot eines Arzt-Video-Calls Vorreiter, was die telemedizinische Konsultation betraf. Auch die Konsultation von Neurologen, Nervenärzten oder Psychiatern ist ebenfalls per Videosprechstunde möglich.
Aufgrund der aktuellen brisanten Lage der Kontaktverbote haben auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband reagiert und die Begrenzungsregelungen von Videobehandlungsfällen für das 2. Quartal, also nun bis Ende Juni 2020 aufgehoben. Ärzte und Psychotherapeuten haben nun die Möglichkeit, mehr Patientenkontakte über die Videosprechstunde abzuwickeln. Außerdem ist es Therapeuten nun bei der Konsultation per Video erlaubt, Patienten aufzunehmen, zu diagnostizieren und zu therapieren, auch ohne vorherigen persönlichen Kontakt und ohne, dass der Betroffene zuvor bei diesem Therapeuten in Behandlung war.
Die Empfehlung zur telemedizinischen Durchführung von Psycho- und Verhaltenstherapie wurde nun trotz Lockerungen der Beschränkungen mit der Bundesärztekammer (BÄK) bis zum 30. September 2020 verlängert.
Praxen müssen auch während des Lockdowns geöffnet sein
Die Einleitung einer Therapie und Erstdiagnostik über Video soll aber nur in Ausnahmefällen erfolgen, so die KBV. Denn hier wären wir beim Knackpunkt der Videokonsultation und -therapie. Der persönliche Kontakt zwischen Patienten und Therapeut ist für eine erfolgreiche und nachhaltige Therapie in vielen Fällen unerlässlich. Dazu später mehr.
Außerdem müssen die Praxen für therapeutische Notfälle geöffnet und vor Ort erreichbar bleiben. Auf diese wichtige Kontante für Akutfälle verweist die KBV und der GKV-Spitzenverband. Auch das Bayerische Gesundheitsministerium verwies darauf, dass psychotherapeutische Praxen während der Ausgangsbeschränkungen grundsätzlich uneingeschränkt tätig sein dürfen.
Doch es gibt noch mehr digitale Hilfe für Menschen, die die aktuelle Situation psychisch belastet. Denn wir alle müssen gerade mit diesem Ausnahmezustand leben, der zum Alltag geworden ist. Berufliche Unsicherheit, die sich ständig ändernde Nachrichtenlage und die wenigen sozialen Kontaktmöglichkeiten können negative Gefühle verstärken.
Anbieter von Online-Therapien wie Selfapy reagierten und bieten so Betroffenen kostenfreie psychische Unterstützung per App, die zusammen mit Gunther Meinlschmidt, Professor für Klinische Psychologie an der IPU entwickelt wurde. Von der Gründerin Farina Schutzfeld heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens:
„Unser Programm unterstützt Nutzer dabei, ihre Ressourcen nachhaltig zu stärken“
Ein Online-Programm ist vor allem in Zeiten von Social Distancing während der Corona-Pandemie ein geeignetes Mittel, um Menschen psychologisch zu unterstützen, heißt es weiter.
Die Angst sich im Wartezimmer anzustecken ist berechtigt:
Dieses Angebot kann im gesamten deutschsprachigen Raum unter www.selfapy.com/corona kostenfrei genutzt werden und bietet seinen Nutzern Kurse zu verschiedenen Themen wie dem Umgang mit der Isolation in der Quarantäne, negativen Gedanken oder der bedrückenden Nachrichtenlage. „Es ist schön diese Solidarität zu sehen, und dass die Technik uns solche Notmaßnahmen ermöglicht“, äußerte sich Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, dazu in der ZEIT.
Auch Videotherapieformate wie MindDoc bringen die Psychotherapie direkt ins Wohnzimmer der Patienten. Das Motto des Unternehmens ist
Videokonferenz-Behandlung zeige vergleichbare Wirksamkeit wie die klassische persönliche Therapie wie Studien belegen.
Vor- und Nachteile gehen hierbei allerdings Hand in Hand wie uns Betroffene erzählen.
Vor- und Nachteile der Videotherapie – ein Interview
Natürlich liegen die Vorteile der Videotherapie gerade in der jetzigen Zeit klar auf der Hand. Das ist längerfristig vor allem auch im Hinblick auch ein wichtiges Angebot, da vor allem in ländlichen Gebieten die Therapiemöglichkeiten in Praxen stark limitiert sind. Betroffene haben oft sehr lange Wartezeiten. Die Überbrückung des Raumes, der eine Therapie ohne persönlichen Kontakt ermöglicht, ist der größte Vorteil der Videotherapie – praktisch vom eigenen Sofa aus. Darin könnte aber auch ein Problem der Therapie liegen wie uns Sebastian* im Interview aus der Quarantäne berichtet.
Er ist nach einem Klinikaufenthalt auf Grund von Depressionen seit 1,5 Jahren in einer ambulanten Psychotherapie. Drei Mal in der Woche sieht er seine Therapeutin, eigentlich face-to-face. Nein, eigentlich sieht er sie während der Therapie nicht. Denn er macht eine Psychoanalyse nach Freud. Dabei liegt er während des freien Assoziierens auf der Couch. Aber er spürt die räumliche Anwesenheit der Therapeutin. Das macht einen großen Unterschied, sagt er uns im Interview.
Seit der Ausgangsbeschränkungen liegt er auf seiner eigenen Couch während er und seine Therapeutin über elektronische Videosprechstunde, kurz „Elvi“, verbunden sind. „Das funktioniert ähnlich wie Skype“, sagt er. Nur sind die Daten verschlüsselt und damit seine Patientendaten geschützt.
Während des Assoziierens macht er die Kamera aus und die Augen zu, um zumindest etwas das Gefühl zu haben nicht auf der eigenen Couch zu sitzen oder zu liegen. Ein Cut, den er braucht, sagt er. „Das eigene Sofa verbindet man nicht unbedingt mit Therapie und der Arbeit an sich selbst.“
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Die Kamera ist nur am Anfang und Ende der Therapie an. Der Hin- und Rückweg zur Praxis war ihm sonst immer sehr wichtig und Teil der Therapie, um sie vom Alltag trennen zu können. Das fällt jetzt weg. „Der Break zwischen Therapie und Alltag ist jetzt härter, sozusagen die Life-Therapie-Balance schwieriger“, sagt er schmunzelnd.
„Ich muss viel mehr beschreiben wie ich mich fühle. Das war eine große Umstellung für mich“, erklärt er. Auf dieses Phänomen geht Dietrich Munz auch in der ZEIT ein. Damit die Therapie funktioniere, sei es wichtig, dass Patienten ihre Gefühle vermehrt in Worte fassen – die Therapeutin bekommt schließlich per Video nicht gut mit, wie sich Stimme, Gesichtsausdruck oder Körperhaltung verändern.
„Es ist jetzt auch viel schwieriger Pausen auszuhalten und eine Verbindung zu meiner Therapeutin über den Bildschirm zu finden.“ Auch für Therapeuten ist es schwerer, die Therapiesituation über Video zu jederzeit zu kontrollieren und im Notfall direkt eingreifen zu können.
Aber Sebastian ist froh um das Angebot in der Quarantäne. Denn ihm war es wichtig die Therapie nicht aussetzen zu müssen und jetzt kann er sie mit auf dem eigenen Sofa machen. Es ist ihm zwar ein großes Anliegen bald wieder zur persönlichen face-to-face-Therapie zurückzukehren. „Die Videotherapie ist aber das Beste, was wir in dieser Extremsituation haben“, schließt er. Denn auch wenn Arztbesuche nicht verboten sind, so findet er es doch sinnvoll in der aktuellen Lage, Kontakte so gut es geht zu vermeiden.
*Name geändert
Weitere Beratungsangebote
Wenn du dich psychisch belastet fühlst, können dir vielleicht auch folgende Hilfsangebote helfen:
Die Telefonberatung der BZgA: 0800 2322783 (Mo-Do 10-22 Uhr, Fr-So: 10-18 Uhr)
Marie-Theres ist Online Redakteurin bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über E-Health, InsurTech und digitale Innovation, die das Leben besser machen.