ottonova Interview mit Tech Incubator Zollhof: Wie Innovationen entstehen können

Wir haben mit Anne Christin Braun, Leiterin „Digitale Gesundheit“ beim Tech Incubator Zollhof, darüber gesprochen, welche Chancen Digitalisierung birgt und was sich im Hinblick darauf im Gesundheitswesens ändern muss. Außerdem: Wie entsteht Gründergeist?

ottonova: Der Zollhof als Tech Incubator hat ja das Ziel Start-ups zu fördern und die digitale Organisationsstruktur voranzutreiben. Wie geht ihr da vor? Und wie schafft ihr es, dass in jungen Unternehmen und Start-ups der richtige Spirit entsteht?

Anne: Der Start-up Kern ist in unserer DNA und eins unserer absoluten Augenmerke, aber wir arbeiten auch intensiv mit etablierten Unternehmen zusammen. Darüber hinaus arbeiten wir mit Studenten zusammen, um auch die Entrepreneure von morgen fit zu machen und für die Idee zu begeistern. Für Startups startet zweimal im Jahr ein 6-monatiges individuell zugeschnittenes Programm, das dabei hilft, Ideen zu validieren, Technologien zu entwickeln und erste Kunden und Investoren zu finden.

Bei den Start-ups müssen wir nicht dafür sorgen, dass der Spirit hoch bleibt. Wenn man in den Zollhof kommt, dann merkt man sofort, dass hier ein Schaffergeist herrscht, alle am Arbeiten sind und Lust haben, das Morgen gemeinsam zu gestalten und, dass wirklich jeder auch in Coronazeiten das Beste daraus macht und sich darauf vorbereitet was nach Corona sein wird oder auch während Corona schon passiert.

Bei unseren Start-ups ist es glücklicherweise so – gerade den Health Start-ups –, dass durch Corona neue Chancen entstehen und auch Finanzierungsrunden nach wie vor stattfinden (trotz Covid-19).

ottonova: Welche Chancen siehst du explizit im Bereich eHealth, die durch Corona vorangetrieben oder erst ermöglicht wurden?

Anne:

Das Thema, das durch Corona den absoluten Aufschwung erhalten hat, ist die Telemedizin (Videosprechstunde).

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Natürlich gab es da im Vorfeld viel Skepsis. Kann das auf Seiten der Ärzte und der Patienten funktionieren? Aber durch Corona haben Videosprechstunden einen absoluten Run bekommen und ich glaube, das wird sich nicht ändern.

Wer will denn, wenn man nur eine Erkältung hat eine Stunde in einem Wartezimmer sitzen, wo man vielleicht noch kränker wird? Vor allem wenn man z.B. noch zwei kleine Kinder dabei hat und vorher eine halbe Stunde nach einem Parkplatz suchen musste.

Auch das Einholen von Zweitmeinungen oder eine Spezialisten-Konsultation, wird dadurch einfacher. Gerade wenn man vielleicht auf dem Land lebt, kann Telemedizin zu mehr Versorgungssicherheit beitragen. Ich komme ursprünglich aus einem super kleinen Dorf im Vogtland, wenn ich daran denke, dass nicht alle Gebiete so flächendeckend mit Gesundheitsdienstleistern ausgestattet sind wie Nürnberg oder München, dann ist Telemedizin eine riesen Chance.

ottonova: Ein Aspekt, der sicherlich auch nochmal durch den demografischen Wandel verstärkt wird.

Anne: Ja, absolut.

ottonova: Das Thema „Wie schaffen wir Digitalisierung auch im Gesundheitsbereich?" ist ja auch ein Thema von ottonova. Hast du da gerade für Unternehmen im Mittelstand, die sich digitalisieren wollen oder auch müssen, habt ihr da ein Vorgehen? 

Anne: Das Thema der digitalen Transformation ist meistens gar kein technisches Thema, sondern eines, bei dem es primär darum geht, Menschen mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln und Bedürfnissen mitzunehmen – gerade im Mittelstand.

Wichtig ist es den Firmen mitzugeben, dass sie natürlich schon ganz viel richtig gemacht haben, sonst wären sie nicht schon hundert Jahre am Markt. Es geht darum zu sagen: Das sind eure Kompetenzen, die müssen wir stärken und ausbauen, um euch fit für die Zukunft zu machen, indem wir schauen: Wie können wir bestehende Geschäftsmodelle digitalisieren oder neue digitale Geschäftsmodelle finden, die euer Modell gut ergänzen. Und das machen wir mit unterschiedlichen Formaten.

  1. Corporate Accelerator für digitale Geschäftsmodelle
    Wir haben beispielsweise ein Format, wo Teams aus etablierten Unternehmen für mehrere Wochen in den Zollhof kommen, um konkret an der Erstellung eines neuen digitalen Geschäftsmodells zu arbeiten.
    Sie arbeiten mit Methoden, mit denen auch unsere Start-ups arbeiten: zum Beispiel Design Thinking, Business Modell Canvas und machen das außerhalb ihrer sonstigen Aufgaben und Unternehmensstrukturen.
  2. Tech Days
    Ein zweites Format ist, dass wir Tech Days für die Unternehmen anbieten. Die gibt es einmal für Einsteiger, dann auch für Fortgeschrittene. Das funktioniert so, dass es einen Tag Input zu Themen wie etwa AI, Chatbots oder IoT von Experten gibt. Diese Experten sind normalerweise Start-ups von uns. Die Teilnehmer erstellen dann auch einen kleinen Prototyp zu einem bestimmten Thema.
  3. Zollhof Academy
    Und relativ neu seit dem letzten Jahr: die Zollhof Academy. Dabei behandeln wir in 8 ½ Workshop Tagen drei unterschiedliche Themen. Die Aspekte Business, Technik und Mensch im Unternehmen.

Ein häufiges Problem in Unternehmen ist es, dass einzelne Teams zum Beispiel zu Design Thinking Workshops geschickt werden. Das ist dann aber super schwierig, wenn es einzelne Teams in Unternehmen gibt, die das Gelernte anwenden sollen, aber alle anderen Teams gar nicht involviert sind. Da gibt es dann keinen Anschluss und kein Verständnis für diese neuen Methoden. Deswegen ist unser Ansatz Menschen aus unterschiedlichen Teams, aber auch aus unterschiedlichen Hierarchieebenen zusammenzubringen, um möglichst viele Unternehmensbereiche zu involvieren.


ottonova Interview:

Mental stark mit Design Thinking


ottonova: Wie kann man dann das Gelernte oder das Erarbeitete in den (Unternehmens-)Alltag verankern? Mit welchen Hürden seht ihr euch dann oder die Unternehmen konfrontiert?

Anne: Kommunikation ist wie bei so vielen Themen auch da die größte Hürde. Im Mittelstand ist es häufig so, dass die Geschäftsführer mittlerweile zunehmend jünger werden und sehr offen für digitale Geschäftsmodelle sind. Es kann aber passieren, dass die Riege darunter, gerade in produzierenden Unternehmen, etwas seit 30 Jahren schon so gemacht hat und es jetzt auch nicht mehr unbedingt anders machen möchte. Da ist es dann essentiell, die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Beteiligten zu verstehen.

In größeren Unternehmen kann es wiederum sein, dass es eine super willige, kompetente Innovationsabteilung gibt, aber der Managementrückhalt nicht so da ist. Deswegen ist es super wichtig, gerade bei Innovationsthemen, möglichst viele Perspektiven zu kennen.

Dabei ist es wichtig, sich immer bewusst zu machen: Wer ist in meinem Unternehmen? Wie ticken die Leute? Was treibt sie an? Was motiviert sie? Wie kann ich sie dementsprechend dann auch mitnehmen?

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ottonova: Wie sieht es denn mit dem Gründernachwuchs aus? In Deutschland ist dieser Gründergeist ja jetzt nicht so stark verankert, wie in Ländern wie etwa den USA. Wie kann denn der Nachwuchs ermuntert werden, stärker unternehmerisch tätig zu werden?

Anne: Ich glaube ein Problem ist tatsächlich - das Bewusstsein. Ganz viele Leute hören in ihrem Studium nie was davon.

Speziell um Studierende neugierig auf das Thema Entrepreneurship zu machen, gibt es bei uns das Talent Program. Hier arbeiten interdisziplinäre Studententeams drei Monate an tatsächlichen Business Challenges, die Partnerunternehmen wie Siemens, HUK Coburg oder die Nürnberger Versicherung identifiziert haben – mit den gleichen Methoden, die auch Startups nutzen. Von der Ideenfindung und Validierung bis hin zum ersten Prototypen übernehmen sie die volle Verantwortung für ihr Projekt.

Die Unternehmen nutzen das Programm als Innovationsschnellboot und bekommen bestenfalls Projekte, die sie im Unternehmen weiterentwickeln und ausrollen können. Nicht selten stellen die Unternehmen die Talents im Anschluss an das Programm ein. Als Intrapreneure treiben sie dann Innovationsprojekte und neue digitale Geschäftsmodelle voran.

Interview Zollhof Innovationen

ottonova: Das Programm ist sicher ein guter Hebel. Gibt es für dich noch weitere Stellschrauben, an denen gedreht werden müsste, um mehr junge Menschen zu erreichen?

Anne: Im Idealfall sollte dieser Berufsweg schon an den Schulen aufgezeigt werden. Auch im Sinne von Diversity. Wir haben im Moment die Situation, dass Gründertum sehr von der männlichen, weißen Mittelschicht mit akademischem Hintergrund geprägt ist. Und das kann nicht der Anspruch sein, denn das spiegelt nicht die Breite der Gesellschaft wieder. Es geht gleichzeitig Potential verloren, wenn an den Bedürfnissen ganzer Bevölkerungsgruppen vorbei Produkte entwickelt werden. Etwa 70- 80% aller Kaufentscheidung werden von Frauen getroffen, die Produkte allerdings werden meist von Männern entwickelt. Das passt nicht zusammen, da gibt es Luft nach oben.

Auch wenn man sich anschaut, dass nur 15,7 Prozent der Gründerteams weibliche Gründer haben, ist das verschwindend gering. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Hier ist auch die Politik gefragt, die Gründertum auch für Frauen attraktiver gestalten muss. Es gibt beispielsweise kein Äquivalent zum Mutterschutzgeld, wenn du Gründerin bist. Es gibt also definitiv Schrauben, an denen man drehen kann, von politischer Seite, damit auch das Thema Gründen attraktiver wird für Frauen.

Und genauso – Diversity ist kein Selbstzweck, sondern es ist bewiesen, dass diverse Teams 20% innovativere Ideen liefern oder dass unterschiedliche Blickwinkel dazu dienen, Risiken um bis zu 30% zu verringern. Diversity ist eben nicht nur ein Geschlechter-Thema, sondern es geht auch um unterschiedliche Backgrounds: beispielsweise akademisch vs. nicht akademisch oder auch Gründer mit Migrationshintergrund.

ottonova: Wenn wir die Perspektive in die Zukunft mal aufmachen: Worüber würdest du dich gerne unterhalten im Sinne von – was wäre ein wirklicher Game Changer vor allem im E-Health-Bereich?

Anne: Ich glaube, dass die E-Health Branche eine der reguliertesten Branchen in Deutschland auch in Zukunft bleiben wird.

Ein echter Game Changer wäre, wenn das Thema Datenschutz und Usability sich massiv verbessern würden.

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Es gibt aktuell im Bereich E-Health noch mehr Vorbehalte, weil die Problematik von Daten und Datenschutzproblemen einfach medial sehr viel stattfindet. Die Nutzenerbringung von digitalen Tools wird hingegen sehr wenig in den Medien diskutiert, daher bleibt dieser Aspekt für viele abstrakt.

Es muss möglich sein, dass ich als Nutzer nicht erst nachdem ich 5 Tage lang irgendwelche AGBs gelesen habe, die ich nicht verstehe oder mir seitenweise Datenschutzthematiken angeeignet habe, relativ schnell beurteilen kann, ob das ein Tool ist, das a) für mich Nutzen bringt und b) mit meinen Daten keinen Schund treibt. Es geht dabei auch darum, digitale Bildung für eine breite Gesellschaftsschicht zu ermöglichen.


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ottonova: Es tut sich ja gerade einiges in der Gesetzgebung, wenn es um E-Health geht. Sind das gute Lösungsansätze aus deiner Sicht?

Anne: Ich glaube was Jens Spahn tut ist gut, dass er viele Gesetze und Projekte wie Apps auf Rezept oder die digitale Krankenakte auf den Weg bringt, die massiv Potential haben. Auch wenn einige Vorhaben hier und da Nachbesserungen benötigen – und hoffentlich bekommen, bringt er doch Speed auf die Straße. Etwas, das kaum einem Amtsvorgänger gelungen ist. Die elektronische Patientenakte etwa ist ein Thema, an dem wir schon seit 20 Jahren laborieren. Jetzt passiert zumindest etwas, das finde ich super.

Im Bezug auf digitale Bildung rund um die gesetzlichen Neuerungen schlummern auch noch neue Business Modelle. Zum Beispiel bei der Weiterbildung der Ärzte, die nun Apps verschreiben sollen, aber eigentlich noch jeden Tag vor der Faxmaschine sitzen.

Sowohl für den Patienten als auch auf Medizinerseite, ist Education und Digital Literacy ein riesiges Thema und ich schätze tatsächlich, dass es hier neue Business- und Jobmodelle geben wird.

ottonova: Ein wunderbares Schlussstatement für mehr digitale Bildung.

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Was ist der Zollhof?

Der Zollhof ist ein Tech-Inkubator für frühphasige Startups und Entrepreneurship Ökosystem. Er ist auf Initiative des bayrischen Wirtschaftsministeriums als eins von mittlerweile 19 digitalen Gründungszentren in Bayern entstanden. Einer der Fokusaspekte ist, jungen, digitalen Start-ups zu helfen, Ideen zu finden, Technologien zu entwickeln, das Produkt zu validieren und an den Markt zu bringen. Ein Fokuspunkt liegt auf digitaler Gesundheit. Ziel ist es, wichtige Player zusammen zu bringen, um durch Synergien und Partnerschaften Neues zu erschaffen.

Wer ist Anne Christin Braun?


Digitale Innovationen, die deine Gesundheit pushen


Anne Christin Braun leitet beim Zollhof seit November 2018 den Bereich für digitale Gesundheit und das Marketing-Team. Davor studierte sie Business Administration und hat anschließend mehrere Jahre im Mittelstand bei einer B2B Software Company in den Bereichen Business Development und Kommunikation gearbeitet. Derzeit macht sie nebenberuflich ihren Master in Gesundheitswissenschaften.

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Marie-Theres Rüttiger
HIER SCHREIBT Marie-Theres Rüttiger

Marie-Theres ist Online Redakteurin bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über E-Health, InsurTech und digitale Innovation, die das Leben besser machen. 

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