E-Health: Wenn der Algorithmus deinen Blutdruck misst

Ein Blick in deine elektronische Patientenakte genügt und schon weiß dein Arzt und niemand sonst, was Sache ist – so würde E-Health in einer idealen Welt aussehen. Wir zeigen dir, was hinter E-Health steckt, wie weit Deutschland ist und welche Rolle der Mensch dabei spielt.

Das Silicon Valley gilt als Wiege der Digitalisierung: Was die Techies im einstigen Ödland im Westen der USA heute erfinden, ist morgen schon der nächste, heiße Trend. Es muss also etwas dran sein, wenn Apple plötzlich mit der privaten US-Krankenversicherung Aetna zusammenarbeitet und Google seiner KI beibringt, Krankheiten zu erkennen, oder?

Von coolen Gadgets bis zur ärztlichen Behandlung. Aber was ist E-Health eigentlich?

Tatsächlich steckt die Gesundheitsbranche weltweit mitten in der Digitalisierung. Aber während Technologieriesen in den USA bereits an konkreten Projekten tüfteln und mit bahnbrechenden Ideen überraschen, ist Deutschland noch dabei, grundsätzliche Fragen zu klären – und scheint dabei nicht recht vom Fleck zu kommen. Wir zeigen dir, wo Deutschland bei E-Health heute steht, wo die Reise hingehen könnte und was das Thema für dich als Patient bedeutet.

Was ist E-Health?

Was ist E-Health?

Bei E-Health oder Digital Health geht es um den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitswesen. Konkret kannst du dir darunter die Vernetzung von Produkten, Akteuren und Services vorstellen, die in irgendeiner Form mit Gesundheit zusammenhängen. Beispielsweise sind Produkte Medikamente oder Wearables, Akteure sind Patienten, Krankenhäuser, aber auch Konzerne, Apotheken und auch die Politik. Und unter Services fällt z. B. die Online-Buchung von Arztterminen.

Wozu das Ganze? Digital Health soll vor allem eine bessere Patientenversorgung erreichen und den medizinischen Fortschritt vorantreiben. Wie diese Vernetzung erfolgt, regelt in Deutschland das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze“ – kurz das E-Health-Gesetz.

Definition E-Health

Eine einheitliche Definition von Digital Health, E-Health und Co. sucht man vergebens. Deshalb ist es gar nicht so einfach, zu bestimmen, wo E-Health eigentlich beginnt. Beim Fitness-Tracker, der an deinem Handgelenk deinen Puls misst? Beim Smartphone, das deine Schritte zählt?

Sammeln solche Geräte Daten im Zusammenhang mit deiner Gesundheit, spricht man von Mobile Health (mHealth) – und ist damit mittendrin im Thema E-Health. Denn ein Algorithmus oder ein Arzt könnte mit diesen Daten bereits Aussagen über deine Gesundheit treffen. Auch bei der elektronischen Patientenakte geht es letztlich darum, dass Ärzte die Daten von Patienten besser auswerten und so beispielsweise die Wechselwirkung von Medikamenten vermeiden können. Und die elektronische Gesundheitsakte soll es dir als Versicherten perspektivisch leichter machen, deine Gesundheitsdaten zu verwalten.


Die elektronische Patientenakte hilft Ärzten, Wechselwirkungen von Medikamenten zu vermeiden. Und die elektronische Gesundheitsakte erleichtert Patienten die Verwaltung der eigenen Gesundheitsdaten.

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Für den aktuellen Gesundheitsminister Jens Spahn kann die flächendeckende Einführung einer solchen Datensammlung gar nicht schnell genug gehen – spätestens 2021 sollen alle Versicherten diese nutzen können. Damit wären dann fast 20 Jahre vergangen, seit die Idee einer elektronischen Patientenakte geboren wurde: Erstmals erwähnt wurde sie bereits im Jahr 2003 im „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“.

Dein Insight: Wie weit ist E-Health in Deutschland und anderen Ländern?

Seit Jahren diskutieren Politik und Gesundheitsbranche über die Umsetzung von E-Health. Zwar gibt es das E-Health-Gesetz. Was für Digital Health aber fehlt, ist eine gut ausgebaute Infrastruktur, um die vielen Gesundheitsdaten sicher übertragen zu können. Und eine E-Health-Strategie, auch in Bezug auf den Datenschutz.

Andere Länder wie Norwegen, Dänemark oder Japan sind bei E-Health schon viel weiter. Estland, das als Land der Start-ups gilt, hat z. B. bereits 99 % aller Gesundheitsdaten digitalisiert.

Und Deutschland? Verglichen mit anderen Branchen in Deutschland ist das Gesundheitswesen laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Schlusslicht bei der Digitalisierung – weit hinter Branchen wie dem Finanzsektor oder dem Handel.

Wo bleibt der Mensch bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens geht es vor allem um das Sammeln und Auswerten von Daten. Und Daten sind – das hört man immer wieder – das Gold des 21. Jahrhunderts; ein wertvolles Gut also, das es zu schützen gilt.

Gerade weil bei Digital Health die Gesundheitsdaten von Millionen Menschen in Deutschland im Mittelpunkt stehen, stellt sich zurecht die Frage, wo denn der Datenschutz bleibt? Und welche Rolle der Mensch bei E-Health spielt. Der Deutsche Ethikrat hat sich dieser Frage auf mehr als 300 Seiten einer Stellungnahme gewidmet („Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung“).

Im Mittelpunkt der Stellungnahme steht Big Data, also „der Umgang mit großen Datenmengen, der darauf abzielt, Muster zu erkennen und daraus neue Einsichten zu gewinnen.“ Um die Flut an Daten zu bewältigen, sind „innovative, kontinuierlich weiterentwickelte informationstechnologische Ansätze“ notwendig.

Big Data

„Der Umgang mit großen Datenmengen, der darauf abzielt, Muster zu erkennen und daraus neue Einsichten zu gewinnen.“ Dies gelingt mit Hilfe von „innovativen, kontinuierlich weiterentwickelten informationstechnologischen Ansätzen.“

Doch wie viele Daten sind viele Daten? Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) schätzt, dass künftig 33 % aller erhobenen Daten auf das Gesundheitswesen entfallen werden.

Damit es gelingt, diese Menge an Daten sicher zu verarbeiten, fordert der Ethikrat Datensouveränität und versteht darunter: „Eine den Chancen und Risiken von Big Data angemessene verantwortliche informationelle Freiheitsgestaltung“ als „das zentrale ethische und rechtliche Ziel im Umgang mit Big Data.“

Was schlägt der Ethikrat vor?

Das derzeit geltende Datenschutzrecht geht dem Ethikrat nicht weit genug. Er empfiehlt deshalb ein Gestaltungs- und Regelungsmodell zu erarbeiten, das „die Komplexität und Entwicklungsdynamik von Big Data“ stärker spiegelt als bisher. Datensouveränität würde in diesem Zusammenhang bedeuten, dass unterschiedliche Interessengruppen – je nach Kontext – das Recht auf „informationelle Freiheitsgestaltung“ hätten. Ein Patient muss also die Möglichkeit haben, mitbestimmen zu können, wer welche Daten kennen darf.

Eine endgültige Antwort auf die Frage, wie Patienten- und Gesundheitsdaten am besten geschützt bleiben und wie eine Mitbestimmung bei der Datenweitergabe aussehen kann, ist noch nicht gefunden. Positiv ist aber, dass Politik, Patienten und die Gesundheitsbranche schon intensiv über E-Health diskutieren.

Tracker eHealth Digital Health am Handgelenk: Fitness-Tracker können in Zukunft als Knotenpunkte einer Gesundheitsinfrastruktur dienen, das Arzt und Patient vernetzt.

E-Health praktisch gesehen

Bis wir in Deutschland mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens vorankommen, zeigen wir dir, wie E-Health in der Praxis aussehen könnte – und dass es auch hierzulande schon clevere Ideen gibt.

Auf der US-Plattform „Patients Like Me“ können Menschen persönliche Geschichten und Gesundheitsdaten austauschen, um Patienten mit ähnlichen Krankheitsbildern zu helfen und der Forschung Daten zu liefern. Die Plattform setzt auf eine Philosophie der Offenheit und darauf, dass die Nutzer „echte“ Daten teilen. Mehr als 500.000 Nutzer tun dies bereits und Studien haben gezeigt, dass 72 % von ihnen die Plattform als hilfreich empfinden.

Wie sich Gesundheitsdaten aus Wearables im Verkehrsalltag konkret nutzen lassen, haben Garmin und Mercedes Benz auf der Consumer Electronics Show 2019 in Las Vegas gezeigt. Die Idee: Die Smartwatch eines Autofahrers verbindet sich mit dem Fahrzeug und liefert Daten zur Herzfrequenz des Fahrers. Das Fahrzeug wertet diese Daten aus und passt Musik, Klima und Licht so an, dass der Fahrer weniger gestresst oder müde ist.

Das Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen wendet in dem Projekt „Aetionomy“ Big Data in der Demenzforschung an. Dabei soll ein modellbasierter Ansatz entstehen, um die molekularen Ursachen der Alzheimer-Demenz besser zu verstehen und eine frühere Diagnose zu ermöglichen. 

E-Health kann Leben retten und Kosten sparen

Was E-Health bringt, wird in anderen Ländern schon deutlich: Patienten könnten künftig besser und schneller behandelt werden. So kann künstliche Intelligenz helfen, Krankheiten früher zu erkennen – eine große Erleichterung für die Vorsorge. Und Telemedizin überwindet auch die größte Distanz zwischen Arzt und Patient – erste Diagnosen können so viel schneller getroffen werden.


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Wie digitale Services dies ermöglichen



Was zur Umsetzung in Deutschland noch fehlt sind

Wäre uns all das in Deutschland schon früher gelungen, hätte das immense Auswirkungen auf die Gesundheitskosten gehabt. Die Unternehmensberatung McKinsey hat das in dem Whitepaper „Digitalisierung im Gesundheitswesen: die Chancen für Deutschland“ einmal vorgerechnet: Im Jahr 2018 hätte Deutschland mit einem digitalisierten Gesundheitswesen 34 Milliarden Euro sparen können. Zum Vergleich: Die Studie geht von einem Gesamtaufwand bei den Gesundheitskosten von 290 Milliarden Euro im Jahr 2018 aus.

Digital Health kann also nicht nur einen Mehrwert für Patienten und Forschung bringen, sondern auch die Gesundheitskosten positiv beeinflussen. Das ist auch deshalb so wichtig, weil das deutsche Gesundheitssystem auf lange Sicht vom demographischen Wandel betroffen ist. Das wird zumindest in der gesetzlichen Krankenversicherung zwangsläufig zu steigenden Beiträgen führen. Und davon werden Patienten und die Gesundheitsbranche in Deutschland langfristig profitieren.

Wie stehst du zum Thema E-Health? Was sind deine Hoffnungen und Befürchtungen? Folge uns auf Facebook oder Twitter und sag es uns!

Sabrina Quente
HIER SCHREIBT Sabrina Quente

Sabrina ist freie Autorin für Versicherungs- und Digitalisierungsthemen. Sie war Redakteurin bei Fachzeitschriften und lernte als Content Editor bei ottonova die vielen Facetten der Versicherungswelt kennen.

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