„Verhütungsberatung muss endlich besser werden“ - Interview mit der Gründerin von MyUterus

30 Jahre verhütet jede Frau im Schnitt in ihrem Leben. Symptome wie Migräne, Unterleibsschmerzen und depressive Verstimmungen können ihren Ursprung bei Verhütungsmitteln haben. Trotzdem gibt es keine ausreichende Verhütungsberatung oder Daten, sagt Leonie Fries, Gründerin von MyUterus. Sie will das ändern. Wie, sagt sie uns im Interview.

ottonova: Du hast die Verhütungsplattform MyUterus gegründet. Verrate uns: Was ist euer Ziel?

Leonie: Ich habe aus einer persönlichen Geschichte heraus gegründet. Wie die meisten Frauen habe ich in meiner Jugend die Pille verschrieben bekommen und so 10 Jahre damit verhütet, sie aber nicht gut vertragen. Ich habe auch verschiedene Präparate durchprobiert und es dann auch mit der Hormonspirale probiert. Es hat echt lange gedauert, bis ich auf den Trichter kam, dass ich das einfach nicht gut vertrage und die Nebenwirkungen, die ich habe, vor allem psychische Nebenwirkungen, davon kommen.

30 Jahre verhütet jede Frau im Schnitt in ihrem Leben. Wenn man sich das überlegt, ist es einfach unfassbar, dass Verhütung so ein nischiges Thema ist.

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Unter Umständen bedeutet Verhütung nicht man selbst zu sein, weil sich durch beispielsweise hormonelle Verhütung auch die Persönlichkeit verändern kann. Oder es treten andere Nebenwirkungen und gesundheitliche Einschränkungen wie Libidoverlust oder Migräne auf.

Es gibt aber zu wenig Daten, die zeigen wie andere Frauen das Verhütungsmittel vertragen und ob meine Beschwerden daran liegen könnten. Leider wird man hier oft nicht ernst genug genommen. Auch über ein erhöhtes Brustkrebsrisiko und Thrombosegefahr wird bei hormoneller Verhütung zu wenig gesprochen. Deshalb haben wir jetzt auch eine Bewertungsplattform für Verhütungsmittel angeschlossen.

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Mir ist ganz stark aufgefallen, wie schlecht die Verhütungsberatung in Deutschland ist und was es für ein kleines Randthema für Frauenärzt:innen ist, weil sie im jetzigen System einfach zu wenig Zeit pro Patientin haben.

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Deshalb ist unsere Vision, dafür zu sorgen, dass Frauen schneller die richtige Verhütung finden und dadurch auch gesund bleiben oder werden. Denn jede Frau probiert im Schnitt 3,5 Verhütungsmittel aus, bis sie ein für sie passendes gefunden hat.

ottonova: Das heißt, euer Ziel ist eine individuelle Verhütungsberatung für jede?

Leonie: Genau. Wir sind im Februar mit der Online-Verhütungsberatung gestartet. Du hast die Möglichkeit, dir einen Beratungstermin zu buchen und mit einer Expertin zu sprechen, um dich ganz individuell beraten zu lassen und dich nicht so alleine gelassen zu fühlen. Mit viel Zeit in einer angenehmen und offenen Atmosphäre. Du sollst über alles sprechen können und dich ernst genommen fühlen. Das schätzen viele sehr bei uns.

Wir können keine neuen Verhütungsmittel erfinden, aber wenn wir auch nur einer Frau das Gefühl geben können, mit dir ist nichts falsch, deine Beschwerden liegen an deiner Verhütung, dann ist schon viel gewonnen.

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ottonova: Wie genau läuft denn die Beratung ab? Komplett digital über eure Website?

Leonie: Du kannst dir über die Website ganz einfach einen dreißigminütigen Termin buchen und wirst dann mit einer unserer Expertinnen verknüpft. Im Vergleich: 11 Minuten hat ein Facharzt oder eine Fachärztin im Schnitt Zeit für Patient:innen.

Wir haben auch Termine abends und am Wochenende. Denn uns war es auch sehr wichtig, dass unsere Beratung zugänglich ist. Die Gespräche laufen meist über Videocall oder per Telefon ab.

ottonova: Mit welchen Expert:innen arbeitet ihr denn zusammen?

Leonie: Im Moment arbeiten wir vor allem mit zertifizierten Heilpraktikerinnen mit dem Schwerpunkt Frauenheilkunde zusammen, die mit einer Praxis niedergelassen sind und auch dort zu Verhütung beraten.

Wir haben aber auch noch Spezialexpertinnen für verschiedene Gebiete, also etwa eine ausgebildete Diaphragma-Beraterin oder eine ausgebildete NFP-Beraterin. Gerade das Thema hormonfreie Verhütung wird immer beliebter.

ottonova: Auf eurer Website stellt ihr ja auch Informationen zu den verschiedenen Arten der Verhütung bereit. Hast du das Gefühl, dass hier noch immer zu wenig aufgeklärt wird und die Pille noch immer als „Allheilmittel“ verschrieben wird?

Leonie: Wir wollen alle dazu befähigen, dass sie die richtige Entscheidung für sich treffen können – das ist uns eigentlich am wichtigsten. Es geht uns in erster Linie darum, die Informationen und Daten so bereitzustellen, dass wir alle profitieren und auch die Frauen sich untereinander vernetzen können, um sich auszutauschen. Dabei liegt mir auch sehr am Herzen, nicht nur über die gängigen Verhütungsmittel wie Pille, Kondom oder Kupferspirale zu informieren, sondern die ganze Bandbreite der Verhütung darzustellen.

Jede macht ihre Erfahrungen, aber das Wissen wird nirgendwo gesammelt und wenn ich meine Gynäkologin oder meinen Gynäkologen frage: Meine Pille hier, ist sie gut verträglich? Gibt’s da andere, die davon Migräne bekommen? Dann kann er oder sie mich nur auf Basis der Erfahrungen, die andere ihrer oder seiner Patientinnen berichtet haben, beraten. Angesichts dessen, welche Möglichkeit es heute zum Datensammeln gibt, ist das zu wenig.

Ich kann mit einem Klick sehen, ob das Hotel oder das Restaurant zu mir passt, warum ist das bei der Pille so „Trial-and-Error“ an meinem eigenen Körper? Das kann doch nicht sein.

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ottonova: Du hast eure neue Bewertungsplattform angesprochen. Was habt ihr euch da konkret vorgestellt?

Leonie: Ja das ist mein großes Baby. Also der Gedanke ist: Nicht jede Frau muss sich durchprobieren an ihrem eigenen Körper, sondern wir können doch einfach das Wissen, das wir haben miteinander teilen und uns gegenseitig helfen, schneller die richtige Verhütung zu finden.

Auf der Plattform können die aktuell der in der Vergangenheit genutzten Verhütungsmittel bewertet werden und die Nutzer:innen können ihre Erfahrung teilen. Welche Nebenwirkungen hatte sie, welchen Einfluss hatte das auf ihre Stimmung, auf ihr Sexleben, auf ihre Periode, auf ihr Gewicht. Dadurch wollen wir Transparenz schaffen.

ottonova: Gerade Verhütung ist ja einfach ein Thema, für das die Verantwortung in heterosexuellen Partnerschaften zum größten Teil einfach bei den Frauen liegt. Auch weil es wesentlich mehr Vergütungsmittel für Frauen als für Männer gibt.

Leonie:

Ich bin mir sicher, dass wenn Verhütung schon immer ein Männerthema gewesen wäre oder Endometriose wäre eine Männerkrankheit, dann wäre das viel besser erforscht und besser betreut.

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Frauen sagen jetzt: Okay, wir haben uns das jetzt lange genug angeschaut, es ändert sich nichts, also ändern wir etwas!

Es gibt eine ganze Generation von Gründerinnen, die Initiativen starten, neue Produkte rausbringen und neue Services anbieten. Es ist schön zu sehen, dass das Bewusstsein allgemein steigt. Zum Beispiel auch für die Nebenwirkungen der Pille.

Es gibt beispielsweise eine Petition von Better Birth Control. Das sind auch zwei Mädels, die sich das einfach nicht mehr anschauen wollten und die haben tausende Frauen versammelt und vor der Bundestagswahl richtig Lärm gemacht und bessere Verhütung für Frauen gefordert.

Natürlich möchten wir das Thema Verhütung auch für Männer zugänglich machen und setzen uns dafür ein, dass mehr Auswahl für Männer gibt.

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ottonova: Es gibt ja immer noch weniger Gründerinnen als Gründer. Ist es denn für Gründerinnen schwieriger zu gründen aus deiner Sicht?

Leonie: Ja also die ganze Branche ist ja sehr männlich geprägt. 16% Gründerinnen sind es glaub ich. Das merkt man auf jedem Event, wenn man so in einer Halle steht und da sind fast nur Männer und ich habe aber ein sehr spezifisch weibliches Thema.

Aber ich finde, es tut sich gerade viel und die Frauen sind sehr stark dabei sich untereinander zu vernetzen und so eine neue Gründerinnenszene für sich zu schaffen, die ein bisschen anders tickt und andere Werte hat.

Ich sehe auch, dass viel mehr Frauen gründen, um etwas in der Gesellschaft zu verändern und viel weniger: Ich will Unicorn werden und richtig viel Geld machen.

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ottonova: Wenn wir jetzt gerade über Geld sprechen: Was kostet euer Beratungsservice denn?

Leonie: Der Service kostet 49 € für 30 Minuten. Eigentlich ein sehr günstiger Preis für so eine Art von Leistung. Aber natürlich sollte er in einem Land, in dem sprechende Medizin von der Krankenkasse bezahlt wird, eigentlich kostenlos sein. Es geht aber im Moment nicht anders.

ottonova: Wollt ihr dann in Zukunft auch mit Gynäkolog:innen und Krankenversicherungen zusammenarbeiten?

Leonie: Meine Idealvorstellung ist, einen Test zusammen mit Gynäkologen und Gynäkologinnen zu entwickeln, den die Frauen schon vor dem Arzttermin machen können, um sagen zu können, das scheint mein ideales Verhütungsmittel. Denn Beratungsgespräche brauchen viel Zeit und das aktuelle System erlaubt es Frauenärztinnen und Frauenärzten oft nicht, sich ausreichend Zeit zu nehmen und das Thema geht in der Praxis unter.

Und natürlich, für uns wäre es auch ein Traum, es jedem zugänglich zu machen und unseren Service von den Krankenkassen erstattet zu haben als ein medizinisch zertifizierter Beratungsservice.

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Wer ist Leonie Fries?

Leonie hat das Femtech Start-up myuterus gegründet und will Frauen dabei unterstützen, eine passende Verhütung zu finden. Ihre Gespräche mit mehr als 120 Frauen über das Thema Verhütung haben ihr gezeigt: Die Beratung muss endlich besser werden.

Marie-Theres Rüttiger
HIER SCHREIBT Marie-Theres Rüttiger

Marie-Theres ist Online Redakteurin für Gesundheits- und Versicherungsthemen bei ottonova. Sie konzipiert den Redaktionsplan, recherchiert und schreibt vor allem über (E-)Health und Innovation, die das Leben besser machen. 

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